Geschichte

Mitten im Zweiten Weltkrieg gründeten ein paar sportbegeisterte RhB-Mitarbeitende in Davos den Eisenbahner Sportverein Rätia (ESV Rätia). Den Verein gibt es heute noch, nur die Sportarten haben teilweise gewechselt. Auch die Promis sind rar geworden. Geblie-ben sind die Kameradschaft und die Vereinstreue.

Der erste Vorfahrer? Alt Bundesrat Adolf «Dölf» Ogi. Der zweite Vorfahrer? Prinz Charles. Prominenter kann ein Skirennen nun wirklich nicht eröffnet werden. Und bitte – es geht hier nicht um eine Weltcup­– Abfahrt, sondern um das Skirennen des ESV Rätia in Davos. Es ist allerdings schon eine Weile her, seit der Dölf von sich aus an den Start kam und fragte: «Du – darf ich auch…?» Um exakt zu sein, war das vor genau 25 Jahren.

Skirennen in Davos 1945

 

Die Zeiten ändern sich 
Seither ist der royale Glanz ein bisschen abgeblättert, Ogi ist schon lange nicht mehr Bundesrat und auch beim ESV Rätia ist einiges anders gewor­den. Nicht dass es ihm schlecht ginge – Gott behüte! Immerhin sind von rund 1500 RhB – ­Mitarbeitenden 220 Mitglied bei diesem Sportverein, wie Marcel Schefer und Ueli Merz zu berichten wissen. Beide sind schon seit vielen Jahren im Vorstand des ESV Rätia. Die einzelnen Sektionen nehmen nach wie vor an Meisterschaften des Schweizerischen Sportverbands öffentlicher Ver­kehr (SVSE) teil. Aber in den Annalen der Sektion Rätia sind die grossen Zeiten eben auch vergangene Zeiten. «Anlässlich der Ski chilbi an den SVSE – ­Skitagen 1954 in Villars gastierte die berühmte Sängerin Josephine Ba­ker im gleichen Hotel. Es gelang uns, sie zu uns in den Saal einzuladen. Sie wurde vom Rätia­ – Mitglied Luzi Kindschi unter grossem Beifall in den Saal geführt und wir hatten anschliessend ein grosses Fest mit ihr», steht in den ESV Unterlagen. Der berühmteste Teilnehmer an den Rätia – ­Skirennen ist im Übrigen kein geringerer als Bernhard Russi: «Als Sohn unseres Ak­tivmitgliedes Pius Russi ist der spätere Weltmeister und Olympiasieger als Junior für die Sektion Rätia gestartet», halten die Aufzeichnungen fest.

Legendäre Feste
Und heute? Heute ist vieles anders. Nicht nur, dass etwa die Unihockey­aner die Leichtathleten abgelöst haben. «Es ist halt schon so, dass heu­te das Angebot an Sport­ und Freizeitaktivitäten riesig ist», sagt Merz. «Jedes Dorf hat seinen eigenen Ski – ­, Fussball – ­, Unihockeyclub und einen Turn­ – oder Schiessverein sowieso.» Das muss 1944, als die Sektion Rätia von ein paar RhB­ – Mitarbeitenden in Davos ins Leben gerufen wurde, noch anders gewesen sein. Vor allem gab es damals noch kein Fernsehen, kei­ne Computerspiele und kein Internet. «Skirennen, Fussballturniere oder Schiessanlässe waren Ereignisse, die jeweils mit einem abendlichen Fest mit Musik und Tanz, einer richtigen Chilbi, abgerundet wurden», erzählt Schefer. Zugegeben – die ESV­ – Rätia – Feste sind auch heute noch legendär. Nur nennt man sie wohl nicht mehr Chilbi. Und auch dass sich ein Dölf Ogi oder gar ein Prinz Charles als Vorfahrer melden und unbehelligt von der Journalisten­ und Fotografenmeute mit den Eisenbahnern um die Wette fahren – heute undenkbar.

Grosses Fest nach dem Skirennen in Davos.

 

Lebenslang treu 
Aber der ESV Rätia verfällt nicht in Nostalgie über längst vergangene Zei­ten, sondern freut sich an dem, was ist, und stellt sich auf heutige Bedürf­nisse ein: «Bei uns muss niemand, aber jede und jeder darf. Es gibt keine wöchentlichen Trainings oder Pflichttermine, die Mitglieder trainieren in ihren eigenen Sportvereinen und werden per Telefon oder WhatsApp an­gefragt, ob sie bei einem Anlass, etwa einem Turnier, mitmachen wollen und können. Mitmachen übrigens kommt vor dem Siegen – es geht um Zusammenhalt, um Kameradschaft und natürlich um den Sport», so Merz. Vieles ist also anders geworden. Doch etwas ist offenbar geblieben: die Treue und der Zusammenhalt der Mitglieder, wie Schefer mit Freude sagt. «Wer einmal zu uns kommt, dem gefällt es so gut, dass er in der Regel ein (Arbeits­)Leben lang Mitglied bleibt.»

Der ESV Rätia ist Mitglied des Schweizerischen Sportverbands öffentlicher Verkehr (SVSE) und in sechs Sektionen unterteilt: Fussball, Schiessen, Bergsport/Wandern, Unihockey, Tennis und Ski Alpin.

Contura Beitrag 2020/2021